“Nora oder Ein Puppenhaus” am Vorarlberger Landestheater
Wer Statistiken durchgeht, die besagen, dass Frauen in Zeiten der Pandemie mit den Lockdowns und Homeoffice-Vorgaben wieder vor allem in die unbezahlte Care-Arbeit und somit in alte Rollenmuster gedrängt wurden, erachtet die Auseinandersetzung mit dem 1879 erschienenen Stück „Nora oder Ein Puppenheim“ als durchaus angebracht. Die Stückwahl des Vorarlberger Landestheaters, das in der Inszenierung kenntlich macht, warum der Begriff „Puppenhaus“ im Titel steht, ist zudem konsequent. Die Frage, was aus der Solidargemeinschaft geworden ist, will Intendantin Stephanie Gräve mit dem neuen Spielplan in den Fokus rücken und zudem verweist sie mit dem Engagement von Regisseurin Birgit Schreyer Duarte auf eine Produktion, die vor ein paar Monaten Premiere hatte. In „Else (ohne Fräulein)“ von Thomas Arzt nach der Novelle von Arthur Schnitzler geht es darum, dass Männer, nämlich Väter oder Partner, immer noch über das Leben von Frauen bestimmen. Neben Maria Lisa Huber als Else agiert die Tänzerin Silvia Salzmann.
Das ist auch in der Inszenierung von „Nora oder ein Puppenhaus“ so, allerdings wird die Figurenkonstellation nicht eins zu eins übernommen. Es mag zwar den Anschein haben, dass Salzmann die Gefühlsstruktur, den inneren Kampf der Protagonistin zum Ausdruck bringt, nicht nur beim Blick ins Programmheft, sondern auch bei genauerer Betrachtung der Auftritte wird aber rasch klar, dass hier eines der Kinder bzw. die kleine Emmi agiert. Einerseits fließt damit der Verweis auf ein Erziehungskonzept ein, das schon bei Nora Angepasstheit forderte und die Reflexion behinderte, andererseits zeigt sich, wie sich dieses Verhalten über die Generationen fortsetzt bzw. wie es unterbrochen werden kann. Es mag banal wirken, wenn Emmi am Ende das kleine Puppenhaus, ihr Weihnachtsgeschenk, anzündet, aber als Schlusspunkt und in der Kürze der Szene markiert es den Ausweg.
Frauen verdienen im Durchschnitt weniger als Männer. Im Kulturbereich ist der Begriff Fair Pay seit Jahren Diskussionsthema und viele tun so, als seien prekäre Arbeitsverhältnisse nicht einzudämmen. Hallo? Das vielzitierte Fair Pay ist weder ein dehnbarer Begriff noch unerreichbar, wer Anstand hat, bezahlt die Arbeit fair.
Ibsens Nora verlässt ihren Mann Torvald, weil er sie nicht als Partnerin auf Augenhöhe anzuerkennen gedenkt. Der norwegische Dramatiker provozierte damit einen Skandal, weil das damals als sittenwidrig galt. Hundert Jahre später schrieb Elfriede Jelinek das Drama mit „Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte“ fort. In der neoliberalen Gesellschaft stößt Nora für ihren Schritt auf Unverständnis, weil sie es sich nicht bequem macht.
Die Inszenierung von Birgit Schreyer Duarte nimmt viel mit aus der Rezeptionsgeschichte des Stücks, sie überlappt ein Damals und Heute ohne dazu eindeutige Bilder verwenden zu müssen. Ausstatter Bartholomäus Martin Kleppek hat dazu eine Hausfassade geschaffen, an der dickes Isoliermaterial die Aufdeckung des Lügengebäudes verhindert, das sich Torvald Helmer nach seiner Vorstellung von Ehe errichtet hat. Es darf aber auch wie ein vergrößertes Puppenhaus wirken und kippt um, wenn die Fassade nicht mehr aufrechterhalten werden kann, wenn Torvald nicht hinterfragt, warum seine Frau die Unterschrift auf einem Schuldschein gefälscht hat, sondern nur versucht, den Skandal, der seine Stellung als Bankdirektor gefährden könnte, zu verhindern. David Kopp changiert wunderbar zwischen dem an sich netten Kerl und dem Typen mit jener Art von narzisstischer Störung, die Paartherapeuten heute noch zuhauf diagnostizieren. Maria Lisa Huber ist eine Nora, der die Inszenierung zumutet, schon lange zu spüren, dass einiges nicht stimmt. Gerade in der Tatsache, dass sie sich gar nicht so stark zu wandeln braucht, dass der letzte Schritt aber dennoch ein Kraftakt ist, liegt die hohe Qualität der Inszenierung.
Da ist es nicht nur zulässig, sondern gut überlegt, wenn Schreyer Duarte mit dem Balancieren auf den Brettern eine an sich ausgelutschte Bildästhetik zulässt. Der Kontrast im Verhalten des Bankers Nils Krogstad und der Angestellten Christine Linde (gut ausgeführt von Tobias Krüger und Zoe Hutmacher) zu Nora und Torvald zählt zu den besonderen Stärken, die jegliche Abweichung vom Text rechtfertigt.
Mit Suat Ünaldi als hellsichtigen Dr. Rank erhält die Produktion nicht nur einen berührenden Touch, sie weicht auch das Klischee vom Freund des Hauses auf. Was die live gefilmten Einblendungen betrifft, so ist festzustellen, dass sie nach Jahrzehnten, in denen Frank Castorf diese Möglichkeiten in seinen Inszenierungen so ziemlich ausgereizt hat, doch noch Wirkung haben. Gut eingesetzt komplettieren sie eine Klassikerinszenierung, die die Brisanz des Themas nicht aus den Augen verliert – nicht effektfrei, aber auch nicht effektheischend aufgreift.
Christa Dietrich
Die Produktion steht noch auf dem Spielplan des Vorarlberger Landestheaters.