Eine Produktion, die im Gedächtnis haften bleibt: „Der Kirschgarten“ beim Theater Café Fuerte
Haben sie den Plot aus Tschechows Drama „Der Kirschgarten“ einfach nur extrahiert oder sind sie mit der 85-minütigen Fassung des Klassikers doch noch ihrer Definition von Theater gefolgt?
Café Fuerte, so der Name des in Vorarlberg und der Ostschweiz ansässigen Ensembles von Danielle Fend-Strahm und Tobias Fend, beabsichtigt mit den Produktionen dezidiert die „Auseinandersetzung mit aktuellen ökologischen und sozialen Themen“. Meist schreibt Tobias Fend die Texte selbst, widmet sich Arbeitsbedingungen und Ausbeutung wie in „Pakete Pakete“ oder der Einsamkeit und der Umweltzerstörung bis hin zur Misanthropie wie in „Auf nach Alang!“. Selbst die Bühnenbearbeitung von „Die Wand“ von Marlen Haushofer passt in das Konzept von Café Fuerte, das den Begriff „Theater woanders“ im Untertitel führt, was heißt, dass oft Aufführungsorte gesucht und gefunden werden, die bislang noch nicht Bühne waren.
Der Premierenort von „Kirschgarten“ ist ein solcher. Fernab von der Ortsmitte liegt der ehemalige Bahnhof Doren/Bozenau an einer Wanderroute. Umgeben von Bäumen, einem in Hörweite befindlichen Fluss sowie der noch erahnbaren Bahntrasse und angesichts von Ferienhäuschen wird die Imagination der Sachlage in Tschechows Komödie unterstrichen. Schlägt doch der Emporkömmling Lopáchin vor, den titelgebenden Garten abzuholzen und Datschas zu errichten, damit etwas Geld in die leeren Kassen einer russischen Familie kommt, die nichts anderes tat, als sich auf ihrem Adelstitel auszuruhen, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts („Der Kirschgarten“ wurde 1904 uraufgeführt) kaum noch einen Wert hatte.
Versonnen blickt man von den Zuschauerreihen aus dem Fenster auf die angestrahlten Bäume, fragt sich aber auch, ob sich diese Wehmut, die Ausstatter Matthias Strahm im leeren Raum noch mit am Boden liegenden Lustern anfacht, ebenso an den anderen Aufführungsorten, dem Zeughaus in Teufen, dem Palais Bleu in Trogen (beides in der Schweiz) oder der ehemaligen Seifenfabrik in Lauterach (einem der weiteren Aufführungsorte in Vorarlberg) intendieren lässt. Nicht zu vergessen, dass Pragmatikern, die den Kirschgarten als Symbol für die Feudalherrschaft deuten, dessen Abholzung eher wurst ist.
Gut, ganz so streng hat es auch Tschechow nicht gesehen und insofern ist es auch zulässig, dass Café Fuerte seinen Auftrag bezüglich sozialer Themen sehr weit fasst. Danielle Fend-Strahm, die wiederum Regie führte, hätte die Kurve ja noch kriegen können, doch sie schenkt dem kontrastierenden Bild von der gesellschaftlichen Erneuerung wie es erwähnter Lopáchin und der ewige Student Trofimow auch in der gestrafften Fassung zum Ausdruck bringen, eher wenig Beachtung und überlässt die Beurteilung der einen und anderen Vision den Zuschauern.
Der Fokus liegt in diesem Fall auf der Unfähigkeit beider konkret Bindungen einzugehen. Die Herzen von Warja und Anja pochen diesbezüglich wohl vergebens. Im anderen Fall – dem zentralen – geht es um die generelle Unfähigkeit, sich Veränderungen zu stellen. Dass sich die Regie bei den Gründen und den Schuldzuweisungen nicht festlegt und die Gutsbesitzerin Ljubow als durchaus emphatische Person zeigt, die dem Unausweichlichen mit fast kindlichem Widerstand begegnet, die Wahrheit einfach nicht hören will, macht sich im Besonderen gut. Es erzeugt nämlich jene Ambivalenz, die die Aktualität der Kernthematik unterstreicht. Wobei man mit der frei von Sentimentalität agierenden Katharina Uhland eine Idealbesetzung für die Rolle gefunden hat. Es ist ein leises Stück mit a-cappella-Tönen und Bewegungselementen, das das Zeug hat im Gedächtnis haften zu bleiben.
Und das sicher nicht nur bei etwas älteren Theatergehern, die angesichts der von Café Fuerte erzeugten Stimmung an eine legendär gewordene „Kirschgarten“-Inszenierung von Peter Zadek erinnert werden.
(Weitere Aufführungen bis 24. Jänner an verschiedenen Orten in Vorarlberg und in der Schweiz.)
Christa Dietrich